Annie Fischer - Bildgewebe

Annie Fischer - Texte

Annie Fischer - einblicke | durchblicke
Ausstellung in der Brackweder Kulisse vom 22.11. - 20.12.2009
Einführung zur Eröffnung am 22.11.2009
©Christine Steuernagel

 

"einblicke | durchblicke" in der Kulisse, eine Wortverwandtschaft sondergleichen. Eine Kulisse ist ein wandelbarer Raum. Das hat die Künstlerin Annie Fischer veranlasst, ihm ein neues Gesicht zu geben, ein Gesicht, das ihren Arbeiten entspricht. Befreit von allen Stellwänden, berücksichtigt sie die besondere Architektur dieses Licht durchfluteten, auch Glaskasten genannten Raumes. In Korrespondenz zu dieser Durchlässigkeit konzipiert Annie Fischer eine Ausstellung, in der sie uns Einblicke und Durchblicke in ihr künstlerisches Schaffen vermittelt. Das wiederum zeichnet sich aus durch Objekte, die durch Gefüge, Konstruktion und Transparenz den Ein- und Durchblick in tiefere Schichten der Werke erlauben.

Von dem Vermögen, formalen Beziehungsreichtum herzustellen, hat uns die Künstlerin schon mit ihrer vielsagenden Einladung, "einblicke | durchblicke" eine Kostprobe gegeben. Dargestellt ist ein Detail aus dem Objekt mit dem Titel "Matrix Natura". (In dieser Ausstellung finden Sie die Arbeit in einem neuen Medium, dem Druck auf Acrylglas.) Trotz der dargestellten, relativ dichten Unter- und Überlagerung verschiedener Materialien, bleibt eine Transparenz erhalten. Die Rückseite der Einladung zeigt durch Reduktion der Deckkraft eine weitere Variante von Transparenz. Selbst der durchsichtige Umschlag widmet sich in formalem Sinn dem inhaltlichen des Titels.

Annie Fischer ist eine Künstlerin, die in Kopenhagen ihre Ausbildung zur Bildweberin und anschließend ein Studium textiler Formgebung absolviert hat. Danach schloss sie ein Studium der Psychologie an der Universität Bielefeld und eine Weiterbildung zur Psychotherapeutin ab und setzte ihren Weg fort als Künstlerin textiler Gestaltung. Sie erschafft eine Kunst, die bei genauem Hinsehen an ihren Werdegang erinnert. Der große Webstuhl in ihrem Atelier ist in den Objekten dieser Ausstellung in einigen Werken zum Einsatz gekommen. Weben, Knüpfen, Applizieren und Umwickeln sind deskriptive Momente,die für die konventionellen wie für die neuen Materialien im textilen Gestaltungsprozess ihre Bedeutung und Geltung beanspruchen. Vielleicht finden wir es etwas bizarr, an textiles Gestalten zu denken, wenn die Künstlerin Stahlmatten, Drahtgeflechte, Metallgaze und Industriematerialien unterschiedlichster Provenienz verarbeitet und dazu das sperrige Material mit eingearbeiteten farbigen Wollfäden konfrontiert. Sie lässt die Form, die Farbe und die haptische Qualität des disparaten Materials miteinander konkurrieren. Wenn Fahrradschläuche und Filzstreifen mit Stahlmatten verwoben werden, handelt es sich um disparates Material. Es erinnert uns an das surrealistische Statement von Lautreamont: "Schön .... wie die zufällige Begegnung eines Regenschirms mit der Nähmaschine auf einem Seziertisch". Nicht mit der Zufälligkeit, aber mit surrealistischen Momenten werden wir immer wieder in den Arbeiten der Künstlerin konfrontiert.

In der Mitte des Ausstellungsraumes zieht die Ellipse aus Metall mit einem Gewirr von Stahldraht den Blick des Betrachters auf sich. Wie eine Feuerstelle hängt die Metallplatte an ihren Stahlseilen und wirft je nach Lichtverhältnissen einen Schatten auf den Boden. Das Stahlgewebe besteht aus vielen Drähten, die in ein textiles Gewebe eingeknüpft sind. Abschirmend zum Außenraum sind mehrere Stoffbahnen gespannt, die sich auf die Ellipse beziehen. Wir werden als Betrachter einbezogen in das - von der Künstlerinintendierte, - inszenierte Beziehungsgeflecht. Assoziationsketten werden ausgelöst. Eine Assoziation mag sein, dass die Ellipse sich wie eine Insel ausnimmt. Wie erst, wenn wir den Titel der Arbeit erfahren, "Arkadischer Traum", eine Anspielung auf eine Landschaft, mit der wir glückliche Zustände im Einklang mit der Natur verbinden.

Arkadien ist ein Mythos, der Traum von etwas, der die Sehnsucht des Menschen nach vollkommenem Glück verspricht. Dieses Versprechen kann nicht eingelöst werden. Auch die alten Meister wussten das. Nicolas Poussin hat die idyllische arkadische Landschaft in seinen Bildern dargestellt und mit Vanitassymbolen und Epitaphen mit eingravierten Schriftzügen versehen (Et in Arcadia Ego).

Welche Intention verfolgte die Künstlerin Annie Fischer mit dem Titel "Arkadischer Traum" und der ihn versinnbildlichenden Installation mit der Ellipse im Brennpunkt, auf dem sich buschwerkartig Stahldraht ausbreitet? Der Verklärung der Arkadischen Landschaft kann die glänzende formvollendete Ellipse durchaus standhalten. Jedoch hätte die Künstlerin auch eine runde Platte wählen können, eine Form, die das Absolute verkörpert. Wer aber wollte in dem Drahtgewirr, dem Bewuchs der Inselellipse einen Ort der Ruhe und Muße ausmachen? Dann ist da noch der Schatten, dessen symbolischer Ausdruck ambivalent als Schatten spendend oder den Tod erinnernd interpretiert werden kann. Das Werk ist voller Anspielungen; einerseits arbeitet die Künstlerin mit verschiedenen spannungsreichen Ausdrucksformen, wie z.B. poliertem Metall und dem nur scheinbar ungeordneten Stahldraht, andererseits bringt sie eine Absurdität ins Spiel, indem sie auf Arkadien verweist. Annie Fischer spielt mit den Metaphern, nicht nur in dieser Arbeit. Sie verquickt den formalen Beziehungsreichtum mit einer inhaltlichen Vielschichtigkeit, die das Niveau künstlerischer Qualität vertreten.

Von solcher Absurdität und Ambiguität ist auch die Arbeit "Kimono" gekennzeichnet. Auf einem Galgen, in gewisser Weise auch ein Kreuz, dessen Verbindungsstücke dem Sanitärzubehör entnommen sind, hängt ein Kleidungsstück, schlicht untragbar. Gearbeitet ist es aus Fliegendraht. Die Vorder- und Rückseite sind mit Metallfäden "zusammengenäht". Der Schmuck des Kimonos sind gleichmüßig verteilte kleinformatige Stickereien und Metallbüschel. Die Stickereien sind akribisch mit schwarzem Stickgarn ausgeführt und ahmen nur scheinbar chinesische Zeichen nach. Tatsächlich aber wirken sie wie die Dornen des Stacheldrahtes und vermitteln ein Gefühl der Verletzlichkeit. In vielen dieser Zeichen ist ein winziges Rot eingearbeitet. Auch in den über das Kleidungsstück verstreuten Metallbüscheln kommt das Rot vor. Allein, wie diese Metallfäden fächerförmig nach außen gebogen sind, vermittelt dem abendländisch sozialisierten Gehirn asiatische Kultur. So ist auch dieses Objekt aufgeladen mit Anspielungen, Andeutungen, Bedeutungen und dem Stück Absurdität, dem wir in vielen ihrer Arbeiten begegnen. Im Objekt "Kimono" ist es das widersinnige Material, in anderen Arbeiten sind es textilfremde Fasern oder Gegenstände, die kombiniert und polarisiert das Absurde ausmachen.

Auch der Verwendung von Farben widmet die Künstlerin ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie kombiniert metallisches in sich reflektierendes Gewebe mit einem Akzent oder Kontrapunkt in klarem Gelb, Rot, Blau oder auch Grün völlig konträren Materials. Dabei bezieht sie sich gern auf die Bauhausfarben, Gelb, Rot und Blau. Jedoch haben die Neutraltöne wie Weiß und Schwarz und alles was dazwischen liegt, weitaus den größten "Farbanteil" in ihrem Werk.

So auch in dem hängenden Objekt "Stahl - Wolle", in unmittelbarer Nachbarschaft zum Arkadischen Traum. In dieser Arbeit ist der Webstuhl zum Einsatz gekommen. Durch die besondere Technik bedingt, ist eine Weblandschaft voller Durchbrüche entstanden. Die eingearbeiteten Drahtfäden verdichten sich nach unten und wirken filigran und transparent, wo sie über den Rand des Gewebten hinausragen. Wie eine nächtliche Landschaft wirkt das Gewebe mit den Durchbrüchen, die wir im Gegenlicht mit Sternen assoziieren. Nicht nur für dieses Objekt sind die Glaswände prädestiniert, dem Besonderen dieser Werke zu entsprechen.

Lassen Sie sich von den diffizilen Wahrnehmungsformen inspirieren und entdecken Sie den Ideenreichtum der Künstlerin Annie Fischer.

Christine Steuernagel M.A. (Kunst u. Philosophie)